INTERNETGESCHICHTEN

Wie sich das Erzählen im digitalen Zeitalter verändert.

Seitdem ich nicht mehr studiere, lechze ich geradezu nach Weiterbildungsformaten, die es mir ermöglichen, einen noch besseren Blick auf die Tätigkeitsfelder zu werfen, in denen ich arbeite. Ich mag das Gefühl des Aha-Moments oder auch des Oh-Effekts – bei Altbekanntem trifft man plötzlich auf etwas Ungewöhnliches, das man so nicht vorhergesehen hat. Oder Verbindungen zwischen Themen, Objekten, Fragen werden einem klar. Ein bisschen stolz ist man dann, dass man das Rätsel gelöst hat. Durch zuhören, mitschreiben, anschauen, durch das Aufnehmen neuer Informationen.

Gestern Abend gab es einen Vortrag in der Reihe der „Montagsseminare“, die von der Film Commission und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg in Stuttgart veranstaltet werden. Ich war schon einmal bei einem Montagsseminar, da wurde lebhaft und ernst und lustig über die Rechte bei Dokumentarfilmen oder anderen Dokuformaten diskutiert. Ich schrieb viel auf und nahm viel mit. Ein paar Aha-Momente gab es und beim nächsten Filmprojekte konnte ich durch mein neu erworbenes Wissen sogar ein Problem lösen.


Gestern also ging es um das digitale Erzählen – und ich gebe zu, als Geschichtenerzähler, als ehemalige Komparatistik-Studentin und auch als medienaffine Freiberuflerin habe ich mir einiges davon versprochen. Ich wollte hören, wie das digitale Erzählen die Erzählweisen verändert, Serien verändert, Viral Spots pusht und uns als Konsumenten und Facebook-Benutzer zu Marketinghelfern der Werbeindustrie macht (wie das First Kiss-Video, das von uns allen so fleißig verbreitet wird, s. unten). Ich wollte auch die kritische Seite hören: wie verändert das unser Seh- und Konsumverhalten, den Fernseh- und Filmmarkt? Wie reagieren die deutschen TV-Sender darauf?


Ich muss zugeben, ich war schon etwas voreingenommen: zur Zeit lese ich viel über die deutschen TV-Serien, darüber wie die amerikanischen TV-Serien uns vor allem ihre Erzählweise voraus haben, wie der amerikanische Markt aber durch Pay-TV Sender (die nicht auf die Quoten schauen, wie die Sender es hierzulande beinahe manisch machen) einen Vorteil hat, und und und.

Leider war das Montagsseminar etwas enttäuschend – und das lag nicht an Dr. Dennis Eick, der sympathisch durch den Abend führte und offensichtlich viel wusste, das lag eher an meinen Erwartungen und letztendlich am Inhalt der Präsentation. Ich fühlte mich, als hätte ich das angesprochene Durchschnittsalter eines Fernsehzuschauers erreicht (zwischen 35 Jahren bei Pro7 und 62 Jahren bei ARD oder ZDF), denn mir wurde das Internet und die digitalen Erzählmöglichkeiten, die es darin gibt, erklärt, als wäre ich selbst über 60 Jahre alt. Als hätte ich noch nie etwas mit der Medienbranche zu tun gehabt, mich nie auf Facebook umgeschaut und alle transmedialen Trends bewusst ignoriert. Nichts Kritisches über Immersion (Zombies sehen besser aus, s. unten), Interaktion (Datenschutz?), Quotenmanie oder ähnliches. Es ging nur um das Technische, die Entwicklung, den Fortschritt, die Möglichkeiten, nie um den Inhalt. Ich vermisste die versprochene Veränderung und Entwicklung der Dramaturgie, was bedeutet es denn, wenn Netflix am Erscheinungstermin der Serie House of Cards alle Folgen auf einmal auf den Markt bringt? Wie muss ich dann die Geschichte erzählen? Ist es dann nicht eher ein Film, der eben in 13 oder mehr Teile aufgesplittet wurde, verändert das die Spannungsbögen? Würde eine transmediale Erzählung, wie vor Start von Batman – The Dark Knight oder der Serie True Blood nicht auch bei uns funktionieren? Welche Voraussetzungen bräuchte man, gibt es Beispiele?


Es wurden Beispiele gebracht, aber dann hauptsächlich aus dem anglo-amerikanischen Raum. Das finde ich schade, hätte ich doch gerne gewusst, wie ein Drehbuchautor und Autor hierzulande es schafft, die Dramaturgie unserer Stoffe an die Technik unseres Zeitalters anzupassen, ohne dass von den Redaktionen der TV-Sendern ein Mord, eine Leiche und am Ende die Auflösung des Krimis verlangt wird.

Leider blieb am Schluss kaum noch Zeit für weiterführende Fragen, für kritische Stimmen, für das, was denn eigentlich diese Entwicklung bedeutet und nicht nur, wie die Entwicklung der Technik vonstatten ging (denn wirklich: wenn man die Augen offen hält, sieht man, welche Entwicklungen das Internet bereithält).

Ich würde gerne mehr über folgende Fragen wissen: Hat denn das interaktive Erzählen wirklich Zukunft? Findet man es nicht irgendwann langweilig, sich aktiv um etwas bemühen zu müssen, das man davor vorgegart zugeführt bekommen hat? Ist binge-watching auch eine Art der Erzählung, legen es die Sender darauf nicht an? Wie könnte man das in Deutschland umsetzen, wie könnten die Serien hierzulande etwas Komplexeres, Düsteres wagen? Geht es nicht erst einmal darum, den Inhalt zu verbessern? Aber halt, dann werden von den Sendern ja wieder die Totschlagargumente Durchschnittsalter und Quoten gebracht.

Hierzu ein paar interessante Auszüge aus dem Artikel „Die ausbleibende Revolution“ von DJ Frederiksson

"Das mehr oder wenig offene Geheimnis, zu dem dennoch überraschenderweise der gesellschaftliche Aufschrei ausbleibt, ist, dass das deutsche Fernsehen die Generation unter 35 praktisch komplett aufgegeben hat."

Und gleich darauf zum Thema Jugendkanäle gründen:
"... – ein Vorhaben, das noch im gleichen Nachrichtenzyklus beerdigt wurde, mit der durchaus nachvollziehbaren Begründung, dass ein solcher Kanal nur als endgültige Rechtfertigung dienen würde, jugendrelevante Stoffe aus dem Hauptprogramm herauszuhalten."
"Und damit wären wir bei dem einzigen Punkt angelangt, den man als „wahren Schuldigen“ für die qualitative Stagnation im deutschen Fernsehen feststellen kann: beim Quotenwahn. [...] deswegen wird gerade bei den Privatsendern immer wieder betont, das Programm müsse unabhängig vom Inhalt vor allem gut aussehen und nett und hell und bunt und einladend wirken und auf keinen Fall kompliziert oder hektisch sein: die Intensivseher wollen nebenher bügeln, kochen, am Computer arbeiten oder andere Tätigkeiten verrichten. [...] Hier zeigt sich das eigentliche Paradox der Quotenerhebung und der eigentliche Grund, warum von den Privatsendern per definitionem keine Lösung kommen kann: Die Sender suchen Inhalte, um eben diejenigen Zuschauer bei der Stange zu halten, die am wenigsten hinschauen. [...] So entsteht dann langfristig ein Fernsehprogramm zum Nicht-Hinschauen."

Ich würde gerne wissen, wie Dr. Dennis Eick über Quoten denkt.

Und wer noch einmal sagt, der Tatort sei das Nonplusultra oder ihn als Argument dafür nimmt, dass die deutsche Serienlandschaft nicht brach liegt, der gehört, auf gut Deutsch, auf den Mond geschossen. Tatort hin oder her, das kann nicht alles sein.

'Tschuldigung, das musste raus.

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